Das verschwundene Dorf Altenwerder
Ein Weg zur Kirche im verschwundenen Dorf – Der Altenwerder Kirchenweg ist eine der wenigen noch existierenden Straßen des ehemaligen Fischerdorfes Altenwerder, das in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts dem Ausbau des Hamburger Hafens weichen musste. Der Name verweist auf die jahrhundertealte Verbindung zwischen dem Dorf und seiner Kirche St. Gertrud, die als einziges Gebäude der alten Bebauung erhalten blieb.
Die Geschichte von Altenwerder reicht bis ins 13. Jahrhundert zurück. Die Insel Altenwerder wurde im Jahr 1248 durch die Allerkindleinsflut von der eingedeichten Elbinsel Gorieswerder getrennt. Die ältesten erhaltenen Schriftstücke, welche das Dorf erwähnen, werden von Historikern auf die Zeit um 1250 datiert. Über Jahrhunderte entwickelte sich hier eine kleine, überschaubare Gemeinde von Fischern und Bauern.
Die St. Gertrud-Kirche – Mittelpunkt des Dorfes
Das Dorf Altenwerder besaß nachweislich bereits um das Jahr 1436 eine eigene Kirche. Im Laufe der Jahrhunderte wurde diese mehrfach erneuert: Ein Neubau entstand 1659, der wiederum 1769 durch einen Nachfolger ersetzt wurde. Die heute noch erhaltene St. Gertrud-Kirche wurde schließlich in den Jahren 1830 bis 1831 nach Plänen der Architekten Ohnsorg und Facklam als klassizistischer Saalbau mit hohen Rundbogenfenstern errichtet.
Im Jahr 1895 kam der neugotische Turm hinzu, wiederum nach Plänen von Ohnsorg und Facklam. Mit einer Höhe von 62 Metern war er hoch genug, um vom damals zur Gemeinde gehörenden Neuhof (heute Teil von Wilhelmsburg) auf der anderen Seite des Köhlbrands gesehen zu werden. Die Kirche diente nicht nur als religiöses Zentrum, sondern auch als Orientierungspunkt für die Bewohner der umliegenden Marschgebiete.
Das Ende eines Dorfes – Der Hafenausbau
Das Schicksal von Altenwerder wendete sich mit dem Hamburger Hafenerweiterungsgesetz von 1961, das den Weg für die Umwandlung des Dorfes in ein Hafengebiet ebnete. Zwischen 1973 und 1978 kaufte die Stadt Hamburg einen Großteil der Häuser und Grundstücke auf, darunter auch die Kirche. Am 20. Januar 1982 wurde durch das zweite Hafenerweiterungsgesetz das endgültige Ende des Dorfes beschlossen.
Die letzten Einwohner verließen ihre Heimat im Jahr 1997, und im Jahr 1998 war Altenwerder praktisch menschenleer. Von der alten Dorfstruktur blieben nur wenige Straßennamen und die St. Gertrud-Kirche mit dem umliegenden Friedhof erhalten. Im Jahr 2003 wurde auf dem ehemaligen Dorfgebiet das hochmoderne Container Terminal Altenwerder (CTA) in Betrieb genommen, eines der automatisiertesten Containerterminals der Welt.
Der Kirchenweg heute
Heute führt der Altenwerder Kirchenweg zu einem der einsamsten und zugleich eindrucksvollsten Orte Hamburgs. Umgeben von Containerbergen und modernen Hafenanlagen steht die St. Gertrud-Kirche wie ein stummer Zeuge einer vergangenen Zeit. Die Kirche steht unter Denkmalschutz und wird weiterhin für Gottesdienste und Veranstaltungen genutzt.
Neben dem Kirchenweg sind heute nur noch wenige Straßennamen aus der alten Dorfstruktur erhalten, darunter der Altenwerder Querweg und der Altenwerder Hauptdeich. Der moderne Straßenname "Im Altenwerder Kirchtal" verweist ebenfalls auf die historische Kirche und ihre zentrale Bedeutung für die ehemalige Gemeinde. Der Kirchenweg erinnert an eine Zeit, als hier noch Menschen lebten, arbeiteten und ihre Wege zur Kirche gingen – ein stiller Zeuge der tiefgreifenden Veränderungen, die der Hamburger Hafen mit sich brachte.
Wer heute den Altenwerder Kirchenweg entlanggeht, begibt sich auf eine Zeitreise. Die moderne Hafenlogistik mit ihren automatisierten Krananlagen und riesigen Containerschiffen bildet einen starken Kontrast zur historischen Kirche. Dieser Ort erzählt eine Geschichte von Fortschritt und Verlust, von wirtschaftlicher Notwendigkeit und dem Preis, den eine Gemeinschaft dafür zahlen musste.